Wenn alte Gebäude eine Seele haben – was unter Denkmalschützer:innen als gegeben gilt und unter Handwerker:innen als lästiges Gerücht –, dann ist die Martinskirche in Braunau (*1385) mehr als nur ein historisches Gemäuer.
Sie ist… bewohnt.
Also, nicht im üblichen Sinne.Denn was dort wohnt, ist nicht aus Fleisch und Blut. Es hat Schuppen, ein verschmitztes Grinsen und eine Vorliebe für trockenem Humor. Und feuchte Keller.
Es handelt sich um Bauxi.
Krokodil. Verstorben. Aber sehr lebendig – geistig gesehen. Ehrenbürger der Braunauer Unterwelt (lokale Bedeutung, nicht metaphysisch).
Man fand ihn nicht.
Was vermutlich daran lag, dass niemand so genau wusste, dass er überhaupt da war.
Bauxi hatte sich nämlich nie besonders gern gezeigt – außer, wenn ihm danach war. Wie die meisten Vertreter seiner Art war er ein zurückhaltender, lauernder Typ. Gepanzert, grummelig und mit einem ausgeprägten Sinn für theatralische Auftritte im richtigen Moment.
Doch als seine ledrige Seele irgendwann in die ewigen Sümpfe übergehen sollte, ging etwas schief. Vielleicht war es die gotische Krypta. Vielleicht der Barockputz. Vielleicht einfach der Umstand, dass der Kirchenplatz Braunau nie für metaphysische Effizienz bekannt war.
Wie dem auch sei, Bauxi blieb.
Und er blieb nicht untätig.
Zunächst einmal war er entrüstet. Aufs Tiefste.
Die Kirche – sein stilles Reich voller Schatten, Spinnweben und akustisch vorteilhafter Gewölbe – wurde von Menschen übernommen!
Theaterschaffende!
Das bauhoftheater!
Künstler:innen mit Requisitenkoffern, glitzernden Gewandungen und dem unheilvollen Geräusch summender Staubsauger.
Staubsauger!
Bauxi, der in seinem früheren Leben höchstens mit dem leisen Tropfen der Unterwelt und dem gelegentlichen, kaum hörbaren, fauligen Leibwind eines verwesenden Pestopfers vertraut war, entwickelte eine tiefe, existentielle Abneigung gegen alles, was surrte, brummte oder Dreck wegsaugte.
Er entwickelte aber ebenfalls ein feines Gespür dafür, wann der Staubsaugerwagen des bauhoftheaters herangeschoben wurde – und stellte sicher, dass dieser dann auf geheimnisvolle Weise verschwand.
Manche sagen, die Geräte seien nie wieder aufgetaucht.
Andere vermuten sie in einem verborgenen Raum unter dem Kirchenschiff, direkt neben der Krypta, wo sich angeblich auch der Heilige Gral, das Bernsteinzimmer und möglicherweise Jan Marsalek befinden sollen.
Dann begannen die Requisiten zu verschwinden.
Schritt für Schritt. Eine Perücke hier. Eine lange Unterhose dort.
Das komplette Bühnenbild von Krach im Hause Gott, das später auf dem Dachboden wieder auftauchte – dekoriert mit Taubenfedern und dem mit Krallen gekrakelten Schriftzug:
BAUXI WAR HIER
Und ein Luftballon voller Kunstblut spritzte der kunstblutverantwortlichen Bauhofianerin fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn mitten ins Gesicht, weil eventuell postmortale Krokodilpranken das Gummi etwas angeritzt hatten.
Als das bauhoftheater 2020 und 2021 in den Konventgarten von Ranshofen auswanderte – aus künstlerischen Gründen und pandemiebedingtem Rückzug – wurde es still.
Bauxi, der sich gerade so schön daran gewöhnt hatte, seine Unwesenheit mit einem Publikum zu teilen, war plötzlich einsam.
Niemand erschrak über sein Spiegelbild in der Sakristei (Jetzt Raum für Maske&Frisur). Niemand bemerkte, dass das Pissoir „schon wieder nicht funktionierte“, obwohl es angeblich „gestern noch ging“. Niemand schimpfte, weil wieder etwas verschwunden war und an einer unmöglichen Stelle ganz plötzlich wieder auftauchte. Es war trostlos trist.
Doch dann – oh Wunder! – kamen sie zurück: Mit Licht, Lachen, Lautstärke.
Mit Probenplänen, die regelmäßig ignoriert wurden, und Kostüm- und Bühnenbildideen, die gegen alle Naturgesetze verstießen.
Bauxi war gerührt. Tief im Geiste.
Und vielleicht ein bisschen betrunken, denn er hatte inzwischen gelernt, wie man die Bar des bauhoftheaters „anzapfte“. Wörtlich.
Und wenn beim bauhoftheater nach einer gelungenen Premiere ebenfalls die Spirituosen flossen, konnten sie ihn sehen –
manchmal nur als Schatten,
manchmal als geisterhafte Erscheinung im Bühnennebel,
manchmal auch ganz konkret: in seiner urtümlichen, schuppigen, zahnbewehrten Schönheit.
Ein bisschen durchscheinend.
Aber ganz eindeutig Bauxi.
Er ist ruhiger geworden. Meistens.
Zumindest, wenn man ihm freundlich begegnet. Er mag die Theatermenschen.
Wer in der Martinskirche spät nachts noch aufräumt und plötzlich das Gefühl hat, beobachtet zu werden –
sollte ein Lächeln riskieren.
Und vielleicht ein Schnapsglas bereitstellen, um mit dem vielzahnigen Poltergeist der Martinskirche anzustoßen.
Denn wer wachsam ist, ein bisschen müde oder ein wenig beschwipst, kann ihm begegnen:
Bauxi, dem alten Krokodil.
– Dem Schatten vom Kirchenplatz.
– Dem Fluch der Pissoirs.
– Dem Geist mit dem Herz fürs Theater.
Und wenn du ihn triffst – sag ihm, dass du ihn magst.
Denn wie jeder Geist ist auch Bauxi – obwohl Krokodil – nur eins:
Ein bisschen verloren.
Ein bisschen verspielt.
Und auf der Suche nach Abenteuer, Gemeinschaft und einem Platz zur kreativen Entfaltung. Wie das bauhoftheater eben auch.
©dita.06-2025
In diesem Theater werden Kekse an die Besucher verteilt. Die meisten solltest Du einfach genießen, andere kannst Du ablehnen - die völlig absichtlich lästige und verwirrende Auswahl steht Dir völlig frei selber zu treffen.